Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare!

Formulare und Regeln überall

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Kapitel 4

Mein (tatsächlich damals schon) sehr alter Englischlehrer Olaf Scheurich hatte auf dem Gymnasium in Ettlingen (Kreis Karlsruhe), das ich vor ungefähr 200 gefühlten Jahren besucht habe, fast täglich den oben genannten folgenschweren Satz benutzt.

Bis heute sehe ich wahrhaftig den alten Olaf vor mir, wenn ich leise

„Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare!“ vor mich hin murmle.

– und damals war das alles ja noch wirklich harmlos im Vergleich zur heutigen Zeit.

Immerhin ist es in Echt-Zeit schon über 30 Jahre her, dass ich meinen Schulabschluss auf der Schule gemacht habe, die wenige Jahre vorher auch vom RAF Terroristen Christian Klar besucht wurde. Er soll damals sogar ein guter Schulsprecher gewesen sein, wie uns unser Mathe-Lehrer wissen liess. Als Vorbereitung für unser weiteres Leben war diese Aussage aber eher kontraproduktiv… Wenn man also zuerst ein guter Schulsprecher auf unserer mit ziemlich alten und autoritären Lehrern vollgestopften Schule war, kam als nächster folgerichtiger Karriereschritt, der geradlinige Weg in den Terrorismus? In jedem Fall war das eine seltsame Art um uns zu braven und folgsamen Schülern zu erziehen, die wir dann erfreulicherweise auch ganz und gar nicht waren… 😉

Aber zurück zum Thema!

„Von der Wiege bis zur Bahre, Formulare, Formulare!“ murmelte Olaf jetzt fast täglich in meiner Imagination, seit wir in New York angekommen waren.

Deshalb kann ich jetzt auch mit voller Überzeugung hier ein wahrscheinlich recht überraschendes Statement zum Besten geben:

Nicht etwa Deutschland ist das Land mit den sinnlosesten Formularen und größtem absurden Papierkrieg, wie wir Deutschen das oft denken. Nein, die Vereinigten Staaten von Amerika sind ganz sicher auch auf diesem Gebiet, wie auf allen anderen, zumindest nach Meinung der Amerikaner, eindeutig eine führende Weltmacht!

Unser 47-seitiger Mietvertrag plus Anhang, viele vollkommen sinnlose Regelungen und Vorschriften und veraltete auf Papier basierende Abläufe, tragen erfolgreich zu dieser Vormachtstellung in sinnloser Papierverschwendung bei.

Vielleicht liegt es ja aber auch an den vielen deutschen Einwanderern, die sich über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hier in der amerikanischen Verwaltung festgesetzt haben… 😉

Die Familie in New York
Die Familie in New York

Ein paar eindrucksvolle Beispiele dazu:

Bevor man irgendwo in Manhattan einziehen darf, wird man ja, wie schon erwähnt, von oben bis unten durchleuchtet. Um das tun zu können, unterschreibt man Papiere, die einem ganz offensichtlich zu rechtelosem Freiwild machen. Die Verwaltungsgesellschaften dürfen nach der Unterschrift tatsächlich bei jeder Bank, jedem früheren Arbeitgeber, Freunden und Familienmitgliedern, Versicherungen oder wo auch immer anrufen und überprüfen, ob man tatsächlich jemals zur Welt gekommen ist. Das wiederum produziert natürlich weiteres vollgeschriebenes Papier, dass ja wiederum irgendwer lesen muss. Mit allem drum und dran kommen da gerne 100 Seiten Papier zusammen – und das nur, um eine Wohnung zu mieten!

Besonders schön fand ich z.B. auch das Formular, dass man seine Kinder nicht aus den Wolkenkratzerfenstern fallen lassen darf. Was WIRKLICH kein Witz ist! Man muss dieses Formular unterschreiben und damit auch bestätigen, dass man entsprechende Schutzvorrichtungen an den Fenstern angebracht hat, wenn Kinder im Apartment leben.

Weiterhin muss man z.B. auch bestätigen, dass die Kinder keine Farbe von den Wänden, sondern reguläre Nahrung essen, weil diese Farbe möglicherweise giftig sein könnte. Beruhigend zu wissen!

Gelacht habe ich auch sehr herzlich über die Tatsache, dass man für unsere kleine harmlose Katze nicht nur Name, Alter, Rasse, Gewicht, Farbe und Impfschutz einreichen musste, sondern ebenfalls ein Bild „for identification purposes“ (zur Identifizierung) notwendig war.
Ja, ist schon klar, wenn also unsere Katze ihre ganze New Yorker Katzen-Gang (Bande) zur Party in unsere Wohnung einladen würde, müssten die Sicherheitsleute am Eingang schon genau wissen, welche Katze jetzt hier gerade die Hosen anhat… – einfach zum kaputt lachen!

Dass man die 20-seitige kleingedruckte Hausordnung unterschreiben muss, kommt einem dann fast schon logisch vor. Abgesehen davon, dass kein Mensch auf diesem Planeten eine 20-seitige Hausordnung regelmäßig durchliest und beachtet.

Der Irrsinn bei all diesen Formularen für eine Wohnung ist doch, dass man tage- bis wochenlang damit beschäftigt ist das alles zu lesen, auszufüllen und die notwendigen Unterlagen zu beschaffen, bevor man überhaupt weiß, ob man dort jemals einziehen darf.

Tatsächlich begegnet man diesem Papierkrieg in New York überall – und ich fragte und frage mich immer wieder, wie die Menschheit erfolgreich überleben soll, wenn 50% von uns ganz offensichtlich nur damit beschäftigt sind, sinnlose Formulare auszufüllen, einzusammeln, weiterzuleiten, einzugeben, zu kopieren und zu archivieren.

„The land of the free!“, nennen sich die USA auch gerne! Ich bin mir ganz sicher, dass das mittlerweile „The land of the formulare!“ heißen müsste.

Lieber Olaf Scheurich, auch wenn Du schon lange nicht mehr bei uns auf der Erde bist, aber könntest Du mir vielleicht eine Erklärung dafür schicken, wie Du das damals alles schon so genau vorhersehen konntest?

PS: Irgendwann später erzähle ich dann noch die Geschichte von den – keine Übertreibung – 2000 = ZWEITAUSEND Seiten Papier, die wir für die Einwanderungsbehörde vorbereiten mussten… Wer das nicht glaubt, dem kann ich gerne das rund 90 MB große PDF-File mit den eingescannten Unterlagen per Email zusenden… 😉

PSPS: Mittlerweile habe ich den USA einen besseren Namen gegeben. Die Formulare und der Papierkrieg sind ja eigentlich nur die Auswirkung des ganzen Schlamassels. Die Ursache dafür sind die vielen Regeln, Abläufe und Gesetze… insofern wurde aus „The Land of the Free!“ jetzt „The land of the Rules and Regulations!“… – aber natürlich gibt es auch gute Dinge hier, sonst wären wir ja nicht immer noch da!

Ende von Kapitel 4


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2 Kommentar

  1. Ich weiss auch, woher die US Amerikaner die Vorliebe für Formulare und deren Verwaltung haben: Natürlich von den Engländern!
    Man muss gar nicht so weit reisen, um den Kampf mit dem red tape aufzunehmen. Es genügt der Sprung über den Kanal. Grund dafür ist der auch in den USA herrschende Mangel an Meldebehörden und den dort ausgestellten Personalausweisen.
    Bei dir ging es um etwas wichtiges und teures, eine Mietwohnung, ich habe in Kent, England, ähnliches durchlebt für eine kostenlose Lesekarte für die kostenlose öffentliche Leihbücherei.

  2. The required forms here are insane. Last week, my husband and I had dental appointments at a new dentist. As my handwriting is readable, I filled out the new patient forms for both of us. For some unexplainable reason, each of the multi-page set of forms required our last name to be printed in multiple places (try writing Schmallegger 40 times over two sets of forms). The kicker is that no one actually reads the forms. After writing on two different pages that I prefer to be called Diane (my first name is Rita), both the hygenist and the dentist greeted me as Rita. Frustrating!!!

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